Alles eine Frage der Perspektive. Lügen mit Bildern und Interpretationen

Viele Bilder und Videos der Demonstration vom 1.8. zei­gen klar, die Zahlen der Polizei kön­nen nicht stim­men. Das bedeu­tet nicht auto­ma­tisch, die der Veranstalter sei­en kor­rekt. Letztere prä­sen­tie­ren immer­hin Zeugen, die erklä­ren, Polizeiführer hät­ten ihnen gegen­über die Zahl 800.000 genannt.

Faktenchecker bezie­hen sich vor allem auf Fotos, die einen Überblick von der Siegessäule aus prä­sen­tie­ren. Mit ihnen soll die Angabe der Polizei bestä­tigt wer­den. Hier und an ande­rer Stelle wur­de gezeigt, daß ein Foto von dpa offen­sicht­lich falsch datiert wur­de. Wie zuver­läs­sig sind die anderen?

Zunächst zu dem auf tagesschau.de.

Telepolis-Faktencheck muß "Irrtum" zugeben

Ein "Faktenchecker" auf heise.de bemüht zunächst die Aussage der Tagesschau-Redaktion, um die Angaben der Tagesschau zu über­prü­fen. So macht man das als unab­hän­gi­ger Rechercheur. Wenig über­ra­schend erfährt er:

»"Das Foto stammt von der Agentur Imago. Es wur­de, so teil­te der Fotograf am ver­gan­ge­nen Sonntag auf Anfrage mit, um 15:39 Uhr auf­ge­nom­men – und zwar von der obers­ten Plattform der Siegessäule aus. Wir haben nach Ihrer Anfrage zur Sicherheit noch ein­mal bei dem Fotografen nach­ge­fragt, der noch ein­mal in die Daten der Bilddatei geschaut hat. Das Ergebnis: 15:39 Uhr. Uns lie­gen die Daten vor.

Die von uns zitier­ten Schätzungen von gut 20.000 Personen bei der Kundgebung stam­men von ver­schie­de­nen Reporterinnen und Reportern, die anwe­send waren. Auch der erwähn­te Fotograf geht in etwa von die­ser Größenordnung aus, eben­so die Polizei. Für eine deut­lich höhe­re Teilnehmerzahl lie­gen uns kei­ne belast­ba­ren Indizien vor."

Nun könn­te man sagen, das kann man glau­ben oder auch nicht. Aber eigent­lich hät­te man, was ich lei­der zu spät gemacht habe, die Argumentation mit dem Schatten sich genau­er anschau­en müs­sen. Dann hät­te man sehen kön­nen, dass die Interpretation falsch ist und die Korrektheit der tages­schau-Analyse belegt, die frei­lich nicht alle erfor­der­li­chen Angaben gemacht hat, ins­be­son­de­re nicht die über die Aufnahmezeit und den Fotografen.«

Zwar bestä­tigt der Checker dann:

»Update: Leider habe ich einen Fehler gemacht und bin auf eine fal­sche Spur gera­ten. Ich hat­te geschrie­ben, dass die Uhrzeit nach der Koordinierten Weltzeit (UTC) ange­ge­ben ist und dass für Berlin die loka­le Uhrzeit, die Mitteleuropäische Sommerzeit, zwei Stunden spä­ter sei, UTC + 2. Das wür­de dann hei­ßen, dass der Sonnenstand nicht 13.00–13.30, son­dern 15.00–15.30 gewe­sen wäre, also die Zeit, als die Kundgebung bereits begon­nen hat. Doch die Uhrzeit ist bei sonnenverlauf.de, wie auch im Forum ver­merkt und mir in Mails geschrie­ben wur­de – Danke dafür – kor­rekt ange­ge­ben: Es ist die loka­le Uhrzeit, also UTC +2.«

Doch auch nach die­ser Überführung der Tagesschau, die er ein­fach hin­nimmt, gibt er nicht auf. Er prä­sen­tiert ein wei­te­res Foto:

Das scheint ein Volltreffer zu sein. Selbst der Schattenwurf kommt hin. Was sehen wir hier, und was nicht? Nicht zu sehen sind tau­sen­de Menschen unter den Bäumen, auf den Fußwegen und den Wiesen des Parks. Zu sehen ist aber dies:

Noch um 15:50 Uhr ste­hen sehr vie­le Menschen am Brandenburger Tor, die von der Polizei an der Veranstaltungsteilnahme gehin­dert wer­den. Ein Ende des Demonstrationszuges ist nicht in Sicht.

Fazit aus der Glaskugel

Der "Faktenchecker" resümiert:

»Was stimmt nun? Wurde Sonnenstand und Schattenwurf rich­tig ein­ge­schätzt? Handelt es sich um ein "Lügenfoto der Medien"? Lügen ARD und der Fotograf oder ist Recherchiv auf einer fal­schen Spur?

Bleibt die Frage, wie vie­le Teilnehmer – abzüg­lich von Neugierigen und Zuschauern – waren es wirk­lich? Wir wis­sen es nicht. Bekanntlich rech­net die Polizei Zahlen ger­ne her­un­ter, wäh­rend Veranstalter sie auf­bla­sen. Die Differenz ist hier aber schon extrem. Vermutlich wird die Zahl der Polizei der rea­len Zahl näher­lie­gen als die 1,2 oder 1,3 Millionen der Veranstalter. Aber es wer­den wohl so um die 60.000 – 80.000 gewe­sen sein. Viele, aber kein "his­to­ri­scher Tag".«

Er hat selbst nach­voll­zie­hen kön­nen, daß die Information der ARD nicht stim­men kann, zieht mal eben "Neugierige und Zuschauer" ab und kommt ohne irgend­ei­ne Begründung immer­hin auf eine Zahl, die drei bis vier Mal so hoch ist, wie prak­tisch alle Medien angeben.

Übrigens hät­te der Wahrheitsprüfer auch die­ses Bild (Ausschnitt) ver­wen­den können:

Es ist wie ähn­li­che wei­te­re zu fin­den beim glei­chen Anbieter. Ob die Uhr 15:20 oder 16:20 anzeigt, wird man wohl nur ein­deu­tig erken­nen kön­nen, wenn man sich für 475 € das hoch­auf­lö­sen­de Foto kauft. Mit Sicherheit sind aber hier weit­aus mehr Menschen auf dem Veranstaltungsgelände sowie vor der Polizeisperre zu sehen.

Fazit aus den Fakten

Die Polizei hat gelo­gen. Fast alle Medien haben die Lüge ver­brei­tet. Selbst ernann­te Faktenchecker ver­su­chen mit allen Mitteln, das zu vertuschen.

Dennoch sei die­se Bemerkung erlaubt:

In ihrem Bemühen, Beweise für das zwei­fel­los vor­han­de­ne Versagen der gro­ßen Medien zu fin­den, stüt­zen sich so man­che BefürworterInnen der Demonstration auch auf frag­wür­di­ge Zeugen wie Peter Hahne. Dabei ist die Kritik nicht, daß Hahne ger­ne in rechts­kon­ser­va­ti­ven Medien publi­ziert und das auch mit sei­ner hier kri­ti­sier­ten Einschätzung tut. Entscheidend ist viel­mehr, daß er Falsches erzählt: »Die "Straße des 17. Juni" war von der Siegessäule bis zum Brandenburger Tor gefüllt von Demonstranten. Und zwar so dicht, dass das ja der angeb­li­che Grund des Abbruchs war.« Jeder, der dabei war, weiß: Die Menge reich­te nicht bis zur Siegessäule und Grund für die Beendigung war der Verstoß gegen die Auflagen, Mundschutz zu tra­gen und Mindestabstände ein­zu­hal­ten. Ersteres schmä­lert nicht die gro­ße Zahl, letz­te­res ist albern. Doch gegen offi­zi­el­le Lügen hilft immer noch am bes­ten die Wahrheit.

(Hervorhebungen nicht in den Originalen.)

Eine Antwort auf „Alles eine Frage der Perspektive. Lügen mit Bildern und Interpretationen“

  1. Sie haben hier nach­ge­wie­sen, dass sich die Polizei mög­li­cher­wei­se um das Drei- bis Vierfache ver­schätzt hat. Zweifellos ein kri­tik­wür­di­ger Vorgang, falls Ihre Analyse zutrifft. Könnten Sie bit­te in einem nächs­ten Schritt recher­chie­ren, wie sich die Veranstalter um das Zehn- bis Zwanzigfache ver­schät­zen konn­ten? Ich fra­ge mich vor allem, woher die 1,3 Millionen kom­men. Interessiert Sie das nicht? Wer hat die­se Zahl in die Welt gesetzt und mit wel­chen Motiven? Ein Faktenchecker ver­dient nur dann sei­ne Namen, wenn er objek­tiv und kri­tisch in ALLE Richtungen blickt. Geht es Ihnen um Wahrheit?

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