Verbissen halten so gut wie alle Medien an den Polizeiangaben von 20.000 TeilnehmerInnen der Demonstration vom 1.8. fest. "Faktenchecker" werden in Bewegung gesetzt, die durchweg die Zählweise der Polizei bestätigen sollen.
Nun hat jeder Mensch, der schon einmal Demonstrationen besucht hat, erlebt, daß Polizeiangaben selten zutreffen und meist viel zu niedrig angegeben werden. Lohnt sich also die Aufregung darüber? Schon, weil deutlich wie nie zuvor wird, mit welchen Manipulationen gearbeitet wird.
correctiv.org zeichnet sich seit Beginn der Corona-Diskussion aus durch permanente vermeintliche Beweise für die Aussagen von Drosten, RKI und Regierung. Diesmal machen sie es besonders dümmlich.
Als erstes widerlegen sie zu Recht den Facebook-Eintrag eines Trump-Anhängers, der ein irreführendes Fotos veröffentlicht hatte. (Anders als bei seinem Eintrag, der Frau von der Leyen als Mörderin bezeichnet, hält Facebook es für nötig, hier korrigierend einzugreifen und den Faktencheck von correctiv.org anzuzeigen.) Der Punkt geht an die Checker, wenn der Beitrag auch nur gerade 187 mal geteilt wurde.
Jetzt starten die Tricks. Ziel soll es sein zu belegen, daß sich auf dem Veranstaltungsgelände höchstens die behaupteten 20.000 Menschen aufgehalten haben können.
Trick Nr. 1: Das Gelände wird künstlich verkleinert.
»Polizei: Kundgebung fand zwischen Brandenburger Tor und Yitzhak-Rabin-Straße statt
… Der Pressesprecher der Berliner Polizei erklärte, dass auch der Bereich ab Yitzhak-Rabin-Straße Richtung Großer Stern bzw. Siegessäule zur Sicherheit abgesperrt gewesen sei. Dies sei üblich, um möglichen Unglücks- oder Anschlags-Szenarien vorzubeugen und Rettungswege freizuhalten: "Der Straßenverlauf nach der Yitzhak-Rabin-Straße war ebenfalls abgesperrt, aber der eigentliche Versammlungsraum befand sich rund um das Sowjetische Ehrenmal."«
Dumm nur, daß die Konkurrenz beim Bayerischen Rundfunk ("Faktenfuchs") das ganz anders, nämlich richtig darstellt, wie im übrigen auch der SWR:
Luftbild oder doch nicht?
Beide Checker zeigen dann ein Foto von Christoph Soeder (dpa), zwar nicht genau dasselbe, doch sind beide sehr ähnlich, hier in der Version der Berliner Zeitung.

Foto: Christoph Soeder/dpa https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/anti-corona-protest-zieht-ab-11-uhr-durch-mitte-li.96329
Bei correctiv.org wird daraus ein "Luftbild", die Bayern vermuten zu Recht, daß es "von der Aussichtsplattform der Siegessäule aufgenommen" wurde. Faktencheck correctiv nennt die Uhrzeit "zwischen 16:03 und 16:10 Uhr", Faktenfuchs BR spricht von "15.30 Uhr". Beiden kommt es darauf an, damit zu beweisen, daß zu dem Zeitpunkt die meisten TeilnehmerInnen bereits auf dem Gelände waren. Daß dies nachweislich nicht der Fall ist, kann hier außer Acht gelassen werden. Die Yitzhak-Rabin-Straße befindet sich auf dem Foto in Höhe der Absperrung durch Polizeiautos.
Jedenfalls leider keine Luftbilder von der Polizei
Bevor Trick 2 zur Anwendung kommt, wird vorab eine Behauptung so "widerlegt":
»Behauptung 2: Die Teilnehmerzahl bei der Kundgebung vor dem Brandenburger Tor habe nicht etwa 20.000, sondern 500.000 bis über eine Million Menschen betragen
In einer Pressemitteilung teilte die Berliner Polizei bereits am Samstag, mit, dass sich bei der Kundgebung 20.000 Menschen vor dem Brandenburger Tor versammelt hatten. 17.000 hätten an der Demonstration, die davor stattfand und durch die Stadt führte, teilgenommen.
Am Montag sagte ein Pressesprecher der Polizei CORRECTIV am Telefon, dass sich an dieser Schätzung der Teilnehmerzahl nichts geändert habe.«
Die Faktenchecker, die widersprüchliche Zahlenangaben prüfen sollen, lassen sich einfach von der einen Quelle die Richtigkeit bestätigen. Mit solcherart Recherche hätte es nie einen Diesel-Skandal gegeben.
Als Reaktion auf die Forderung, die Luftbilder der Polizei zu veröffentlichen, wird ein Zitat des Polizeisprechers wiedergegeben:
»"Der Polizeihubschrauber hat eine Kamera an Bord. Von dort findet eine Direktübertragung der Bilder an den Führungsstab statt. Dieser nimmt anhand der Bilder dann eine Schätzung vor. Gespeichert werden die Bilder jedoch nicht, da dies datenschutzrechtlich verboten ist", sagte der Pressesprecher CORRECTIV.
In Sozialen Netzwerken verbreiten sich dennoch zahlreiche Behauptungen, die Teilnehmerzahl habe weitaus höher gelegen und die Medien würden lügen.«
"Dennoch" ist gut!
Eine Wahrheit und zwei Lügen
Immer noch ist die Zeit für Trick 2 nicht reif, denn vorher muß noch der Vergleich mit den Love-Parade-Veranstaltungen her.
»Bei der Love Parade feierten die Teilnehmer dicht gedrängt nicht nur (wie am vergangenen Samstag bei der Anti-Corona-Kundgebung) auf dem Abschnitt zwischen dem Brandenburger Tor und der Yitzhak-Rabin-Straße, sondern auch auf allen Straßen rund um den Großen Stern.«
Hier haben wir eine Wahrheit und zwei Lügen. Wahr ist der letzte Halbsatz. Falsch ist wie gezeigt die Definition des Ortes und die Formulierung "nicht dicht gedrängt". Schließlich liest sich das nicht nur oben bei der Berliner Zeitung so. Wie schnell zu googeln ist, war das ein fester Bestandteil aller empörten Medienberichte.
Schönes Spielzeug "Mapchecking"
Nun endlich Trick 2. Dazu verwenden beide Checker das Online-Tool Mapchecking. Mit diesem Werkzeug läßt sich schätzen, wieviele Menschen sich auf wievielen Quadratmetern aufhalten. Es lohnt sich, damit ein wenig zu spielen.
Die Software funktioniert so: Auf einer Landkarte markiert man ein Gebiet und gibt eine Zahl von Personen pro qm ein. Daraus wird eine Gesamtzahl ermittelt.
»Bereits bei 5,5 Menschen auf einem Quadratmeter besteht ein hohes gesundheitliches Risiko, und die Menschen stünden sehr dicht gedrängt.«
gibt correctiv zu bedenken, ist aber großzügig und läßt die Zahl durchrechnen. Dabei wird dieses Ergebnis geliefert:
Daraus folgt für die Checker:
»Fazit: Falsch. Es haben nicht 500.000 bis über eine Million Menschen an der Kundgebung vor dem Brandenburger Tor teilgenommen. Die Polizei spricht von 20.000, Schätzungen zufolge würde die Fläche zwischen Brandenburger Tor und Yitzhak-Rabin-Straße maximal 66.300 Menschen dicht gedrängt zulassen. So dicht standen die Menschen am Samstag Luftaufnahmen zufolge jedoch nicht. Die Angaben der Polizei sind daher realistisch.«
Alternativen
Wie gesagt, wir haben mit "Mapchecking" ein nettes Spielzeug vor uns, mit dem sich nahezu jegliche Ergebnisse konstruieren lassen. Wenn man beispielsweise das Gelände nur ein klein wenig erweitert, um nicht nur die Straße, sondern auch die Gehwege unter den Bäumen mit erfaßt (die dort befindlichen Menschen kann man auf dem Foto nicht sehen), haben wir schon fast 120.000, allerdings ebenfalls mit einer zu hoch geschätzten Dichte von 5,5:
Drehen wir die Aufgabe um. Wieviele Menschen stehen auf einem Quadratmeter, wenn wir von 20.000 insgesamt ausgehen? So rechnet das Tool:
Danach stünde, um die Polizeiangaben zu erreichen, gerade einmal ein Mensch auf einem qm.
correctiv zeigt uns das Schaubild, das von der unrealistischen Dichte von 5,5/qm ausgeht:
Das gleichermaßen unrealistische, das die Polizeiangaben illustriert, wird uns vorenthalten:
Wie wäre es damit?
Die Fläche geht realistischerweise nicht bis zum Großen Stern, umfaßt aber auch die Fußwege. Bei einer moderaten Dichte von 3 Menschen/qm hätten wir 136.000 TeilnehmerInnen auf diesem Stück. Es müßten Abzüge für im Bild erkennbare kleinere Lücken vorgenommen werden, hinzugefügt werden müßten dagegen die zahlreichen Menschen, die sich im umliegenden Tiergarten aufhielten. Ebenfalls in dieser Summe nicht enthalten sind nicht wenige TeilnehmerInnen, die entweder noch unterwegs waren oder von der Polizei zeitweilig am Betreten des Geländes gehindert wurden.
Damit wäre eine Zahl von 1,3 Millionen entschieden zu hoch angesetzt, die 20.000 der Polizei hingegen grotesk untertrieben.
Die Rechenspiele könnten sich erübrigen, wenn die Polizei gerichtlich gezwungen wird, Luftbilder, Lageberichte und Kommunikation mit der Presse offenzulegen. Das ist auf dem Weg.
(Weiter geht es mit Demo-Zahlen: Sonne bringt Licht ins Dunkel der Tagesschau-Fakes und Alles eine Frage der Perspektive. Lügen mit Bildern und Interpretationen.)
(Hervorhebungen nicht in den Originalen.)
Update 6.8.:
Ein Kommentator weist darauf hin, daß "grotesk" und "entschieden zu hoch" eine unangemessene Wortwahl sei. Er hat damit Recht. Allerdings nur vor dem Hintergrund, daß es sich hier um die endgültige Zahl der TeilnehmerInnen handelte. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, entstand das entscheidende Foto jedoch gegen 13.00 Uhr und zeigt damit den erheblichen Teil der Menschen nicht, die noch unterwegs waren. Vgl. dazu den letzten Link.
Vielen Dank für Ihre Analyse! Die grotesken Lügen der Medien und deren Faktenchecker sind ungeheuerlich und gehören aufgedeckt!
Wenn die Angabe von 1,3 Mio. ursprünglich von der Polizei selbst kam, erübrigt sich eigentlich die ganze Diskussion.
Man kann davon ausgehen, dass die Polizei auf mittlerer Ebene und im Vollzug ihrer Aufgaben von seriösen Schätzungen ausgehen MUSS. Krass gesagt: im Krieg ist eine Armeeführung, die die Situation falsch einschätzt von Vorne herein der Verlierer. Auch die Polizei kann sich nicht an falschen Situationsanalysen orientieren. Also werden die ersten Schätzungen, und da war wohl von 1,3 Mio. oder auch von 800.000 die Rede, vielleicht unsicher, aber nicht völlig aus der Luft gegriffen gewesen sein.
Dass dann die veröffentlichten Polizeiangaben politisch beeinflusst wurden, ist völlig klar. Ebenso wie bei den Meldungen über die angebliche Auflösung der Veranstaltung begann dann der steuernde Eingriff "von oben": es mussten, koste es was es wolle, Bilder wie die vom Ende der DDR verhindert werden!
Zum Tag der Freiheit 01.08.2020, Berlin
Die Zahlen von 800.000 oder vielleicht sogar 1,3 Mio. Teilnehmer kamen ursprünglich von der Polizei, mittlere Führungseben:
http://blauerbote.com/2020/08/05/berlin-spezial-im-gespraech-mit-dem-organisator-und-anfuehrer-des-demonstrationszuges/
bzw. Nuoviso
"Die Yitzhak-Rabin-Straße befindet sich auf dem Foto in Höhe der Absperrung durch Polizeiautos."
Könnten Sie diese Angabe bitte noch einmal prüfen? Das scheint mir nicht zutreffend zu sein, wäre aber für die Überzeugungskraft der Argumentation nicht unerheblich.
Und könnte man nicht einfach Aufnahmen der Veranstalter benutzen, um die Teilnehmerzahl zu beweisen?
@Silke Schrade
Daß die Sperre in Höhe der Yitzhak-Rabin-Straße stand, habe ich selbst gesehen und bestätigt auch correctiv.org.
Vielen Dank für den Hinweis. Ich hatte die erste Information tatsächlich von Correctiv.org, denn es macht immer Sinn, sich mehrere Faktenchecker anzusehen. Auch die Korrektur habe ich inzwischen dort gelesen.
"Damit wäre eine Zahl von 1,3 Millionen entschieden zu hoch angesetzt, die 20.000 der Polizei hingegen grotesk untertrieben."
Die Wörter "grotesk" und "übertrieben" müsste man angesichts der Zahlenverhältnisse eigentlich austauschen, oder? Die Wortwahl finde ich hier unangemessen für einen Faktencheck.
Ich möchte mich zunächst dafür bedanken, dass Sie auch kritische Meinungen bzw. Rückfragen zulassen. "Querdenken" bedeutet ja in erster Linie "selbst denken" und dazu gehört essentiell, sich immer wieder selbst zu hinterfragen.
Wer die Diskussion der letzten Tage als unabhängiger Beobachter verfolgt hat, kommt nicht umhin, das Ganze als eine Art Rückzugsschlacht zu deuten. Die Teilnehmerzahlen, die von Seiten der Demonstranten zugegeben werden, werden immer kleiner. Was ist die Lehre? Zum "Querdenken" zählt vielleicht auch, nicht sofort dem Bauchgefühl zu folgen und loszubrüllen, sondern sich die Situation mit etwas Abstand anzusehen (und z.B. vielleicht einfach mal die Teilnehmer am Demonstratonszug zu zählen).
Solange nur mit Schaum vor dem Mund lautstark "quergedacht" wird, trägt diese Bewegung nicht zur Aufklärung bei, sondern zur Spaltung der Gesellschaft. Und ehrlich gesagt: nach dieser Woche der Diskussionen um die kleinste größte Demo aller Zeiten trifft der Vorwurf des bewussten Lügens eher auf die Veranstalter zu als auf die Medien. Für Sie als Faktenchecker eine schwierige Situation. Sind Sie unabhängig und den Fakten verpflichtet oder geht es Ihnen um Propaganda?
Vielleicht sollte man sich bei den Teilnehmerzahlen *an der Demonstration*
nicht immer nur auf die Abschlusskundgebung fokussieren, sondern auf die gesamte Demonstration, die eine sehr lange Strecke durch die Stadt umfasste, wonach viele Teilnehmer erschöpft auf die Kundgebung verzichteten sowie viele überhaupt erst zum Ende des Zuges erschienen.
Dazu die Informationen der Busunternehmer, die diese von der Polizei erhalten hätten: Demozug-Anfang sei auf Demozug-Ende getroffen.
https://invidio.us/latest_version?id=QJOtI1xaiP0&itag=18
Ich habe hier ein tolles timelaps Video von dem Demo Zug gefunden https://www.youtube.com/watch?v=MhFYz4lpvIU
Der Demozug braucht ca. 01:20 (hh:mm) um an der Kamera vorbeizuziehen, es ist ein 4 spurige Straße, wenn man jetzt mal mit 4km/h rechnet komme ich auf eine Länge des Demozuges von ca. 5300m, bei einer Breite der Straße an dieser Stelle von ca. 12m und einer Dichte von ca. 1,5 Menschen/m² komme ich somit auf ca. 95.400 Teilnehmer der Demo.
Die Anzahl der Menschen auf der Kundgebung (anhand des Fotos von der Aussichtsplattform der Siegessäule) schätze ich auf 30.000 – 40.000 Menschen.
Vielen Dank für diesen intelligenten Versuch mit offengelegter 'Mathematik' Licht in diese merkwürdige 'Propaganda mit Zahlen' Versuche zu bringen. Als jemand der viel auf Demonstrationen, oft auch beobachtend, war, gehe ich allerdings mit den Annahmen nicht ganz mit, würde da allerdings gerne auch Belastbareres hören. Bei einer Demo in Bewegung würde ich auf die Gesamtgruppe höchstens von einer Person auf 2 qm, oder weniger, und maximal 3 km/h ausgehen, auch eher weniger bei einer großen Gruppe.